Kann man Lesevergnügen messen?

Kaum ein Forschungsgebiet produziert zurzeit so viele Schlagzeilen wie die Hirnforschung: mal skurril, mal erstaunlich, dann wieder eher banal, doch immer aufs Neue im Rampenlicht. Die Erforschung der etwa 100 Milliarden Neuronen und ihrer unzähligen, komplexen Verbindungen ist ebenso produktiv wie populär. Kein Wunder, dass auch die Stiftung Lesen sich des Themas annahm: „Was geschieht beim Lesen im Gehirn?“

„Musizieren mindert Alterserscheinungen“, „Apple ruft religiöse Gefühle hervor“ – kaum ein Forschungsgebiet produziert zurzeit so viele Schlagzeilen wie die Hirnforschung: mal skurril, mal erstaunlich, dann wieder eher banal, doch immer aufs Neue im Rampenlicht. Die Erforschung der etwa 100 Milliarden Neuronen und ihrer unzähligen, komplexen Verbindungen ist ebenso produktiv wie populär. Kein Wunder, dass auch die Stiftung Lesen sich des Themas annahm: „Was geschieht beim Lesen im Gehirn?“ – so lautet der Titel des 9. Bandes ihrer Schriftenreihe, basierend auf einem Symposion, an dem neben renommierten Neurowissenschaftlern und Mitarbeitern der Stiftung auch Vertreter der Buchbranche teilnahmen.

Diese Zusammensetzung führte dazu, dass die Veranstaltung nicht auf die akademischen Fragen nach den beim Lesen aktiven Gehirnregionen und der Systematik, mit der unser Denkorgan aus Tintenflecken oder Pixeln Sinnzusammenhänge erschließt, beschränkt blieb. Ein Teilnehmer wollte gar wissen, ob sich mithilfe der Neurowissenschaften künftige Bestseller testen ließen: „Aus Verlagssicht stellt sich häufig die Frage, warum sich bestimmte Titel besonders gut oder schlecht verkaufen. Wir haben tausend Meinungen darüber, warum das so ist. Wäre es aus Sicht der Hirnforschung möglich herauszufinden, woran das liegt?“

Eine erstaunliche, aus Sicht von Skeptikern geradezu alptraumhafte Vorstellung: Bestseller, ja rentable Bücher überhaupt werden künftig nicht mehr im Dialog zwischen Autoren und Lektoren entwickelt, sondern mittels Magnetresonanztomographie im Labor getestet … Doch so weit ist es noch lange nicht, die Frage blieb letztlich, was kaum überraschen dürfte, im Wesentlichen unbeantwortet.

Dennoch ergaben sich bei den in diesem Band dokumentierten Vorträgen und Diskussionen interessante Aspekte: Beispielsweise legte der Ulmer Kognitionsforscher Markus Kiefer dar, wie Emotionen das Lernen befördern, aber auch behindern. Lesen werde „gemeinhin als eine recht ernste Sache betrachtet“, die Verknüpfung mit Bildung und Karriere erzeuge Leistungsdruck. Es seien indessen gerade positive Emotionen, die nachweislich zu erfolgreichem Lernen beitragen. „Lesen sollte aus diesem Grund ein bewusst freudiges Erlebnis sein, um es zu einem erfolgreichen Erlebnis zu machen.“

Somit können die Bemühungen der Autoren und Lektoren von Lehrwerken um schülerorientierte Bücher, die auch Spaß machen, nicht mehr so leicht als vermeintliche Kuschelpädagogik missverstanden werden: Der Stand der Forschung ist ein anderer.



Dirk Müller, Braunschweig