Fit für die Vergangenheit?
Das Buch Lektorat, Programmplanung und Projektmanagement im Buchverlag richtet sich zwar nicht in erster Linie an freie Lektorinnen und Lektoren. Dennoch sollten Freie, wenn sie mit Verlagen zusammenarbeiten, über die Verlagsarbeit Bescheid wissen. Dafür bietet das Buch der Reihe BRAMANN Basics buch & medien die wichtigsten Informationen in klarer Darstellung.
Lektorat, Programmplanung und Projektmanagement im Buchverlag – so heißt der siebte Band in der Reihe BRAMANN Basics buch & medien. Die Reihe richtet sich explizit an Studierende in Studiengängen rund um Bücher und Medien sowie Verlagspraktikerinnen und -praktiker. Der vorliegende Band spricht also all diejenigen an, die als Lektoren und Lektorinnen in einem Buchverlag arbeiten oder arbeiten möchten. Und was ist mit freien Lektorinnen und Lektoren? Ist das Buch zwar nicht für sie gedacht, doch denkbar?
Aus vornehmlich drei Gründen sollten Freie, sofern sie mit Verlagen zusammenarbeiten, über die Verlagsarbeit und die Tätigkeit der dort Angestellten Bescheid wissen. Erstens müssen Freie, um sich in der Wertschöpfungskette richtig positionieren können, Zuständigkeiten und Abläufe kennen. Diese unterscheiden sich mehr oder weniger von Verlag zu Verlag. Daher geht es im Kundenkontakt nicht etwa darum, keine Fragen zu stellen, sondern die richtigen Fragen zu stellen. Nur so kann man gezielt Kundenbedürfnisse eruieren und passgenaue Angebote unterbreiten. Zweitens sollten Freie wissen, wie ihre Verlagskunden ticken. Das hat mit Strukturen und Prozessen zu tun, aber mehr noch mit der Unternehmenskultur: Sieht ein Verlag die verlegten Bücher vorrangig als Ware oder als Kulturgut an? Verstehen sich die Hauslektorinnen und -lektoren vornehmlich als Produktmanager oder Buchliebhaber? Die Kundenansprache ist von Fall zu Fall anders. Und drittens müssen Freie die Kundensprache sprechen, den Fachjargon draufhaben. Nur wer Fachbegriffe aus Satz und Druck kennt, kann sie auch beim Redigieren als Aspekte berücksichtigen sowie Fachkompetenz ausstrahlen. All diese Kenntnisse über Bücher und Verlage tragen zu einem professionellen Auftreten und Verhandeln von freien Lektoren und Lektorinnen bei.
Eben solche Kenntnisse vermittelt das Buch, von dem hier die Rede ist. Geschrieben hat es der frühere Lektor und Programmleiter und jetzige Autoren- und Verlagsberater Michael Schickerling, der zusammen mit der Juristin Birgit Menche schon den Vorläuferband Bücher machen für den Bramann Verlag verfasst hat. Das Buch ist in drei Kapitel unterteilt, die sich an der Entstehung und Veröffentlichung eines Buches orientieren.
Das erste Kapitel beschäftigt sich mit der Programm- und Projektplanung, im Einzelnen mit Programmplanung, Projektakquise und Projektpositionierung. Hier werden systematisch alle Aspekte besprochen, die für das Programm eines Buchverlages und die Positionierung eines einzelnen Buches im Verlagsprogramm relevant sind. Dabei werden auch einschlägige Marketingmodelle und -konzepte herangezogen und auf Bücher bezogen, vom Produktlebenszyklus über das BCG-Portfolio bis hin zu den Sinus-Milieus. Zusätzliche Textkästen informieren über die Provenienz der vorgestellten Konzepte und Modelle.
Das zweite Kapitel zum Projektmanagement geht auf die Projektplanung und die Zusammenarbeit mit den wichtigsten externen Akteurinnen und Akteuren ein. Schickerling nennt Autoren, Ghostwriter, Übersetzer, Redakteure, Korrektoren und andere Dienstleister und bespricht aus Verlagssicht deren Auswahl, Beauftragung und Honorierung. Interessant, wenn auch kaum überraschend sind die Erwartungen von Verlagslektorinnen und -lektoren an Freie, die Schickerling in einer Checkliste anführt: Erfahrung und Fachkompetenz, Eigenständigkeit und Entscheidungsstärke, Fingerspitzengefühl und Kommunikationsstärke, Termintreue. „Honorare“ lautet der letzte Punkt auf dieser Checkliste, bei dem der Autor direkt Freie anspricht: „In der Verlagsbranche verdient kaum jemand gut, da hilft es wenig, über die schlechten Honorare zu lamentieren. Denn die Ansprechpartner in den Verlagen sind nicht in der Lage, etwas am grundsätzlichen Preisgefüge zu ändern“ (S. 87). In der Tat hilft Lamentieren wenig; wenn selbstbewusstes Auftreten und Verhandlungsgeschick nicht zum Erfolg führen, bleibt nur, die oft prekären Bedingungen für Freie zu akzeptieren – oder sich andere Kunden zu suchen, die faire Honorare zahlen.
Das dritte Kapitel ist der Redaktion und Produktion gewidmet, von der Manuskripterstellung über die Manuskriptbearbeitung bis hin zur Buchgestaltung und Herstellung. Bei der für freie Lektorinnen und Lektoren zentralen Bearbeitung der Manuskripte werden die üblichen inhaltlichen, sprachlichen und formalen Aspekte angesprochen. Daneben geht Schickerling auch auf Abbildungen, Register und Werbetexte ein.
Bei diesem Buch bestechen der gute Aufbau, die ebenso knappe wie klare Darstellung sowie die hilfreichen zusätzlichen Elemente. Textkästen erläutern wichtige Begriffe (soweit nicht im Glossar enthalten), Abbildungen visualisieren Schlüsselprozesse, Infokästen bieten weiterführende Informationen zu Quellen und Checklisten erleichtern die Arbeit. Jeweils drei Fallbeispiele zu Beginn eines jeden Kapitels zeigen die Vielfalt von Büchern und Büchermachern. Ein Glossar, Sachregister und Literaturverzeichnis runden das Werk ab.
Man könnte das Buch uneingeschränkt allen angestellten und freien Lektorinnen und Lektoren empfehlen, würde man nicht etwas Wichtiges vermissen. Auch wenn Schickerling Digitalangebote erwähnt, bleibt doch das gedruckte Buch und damit eine Channel-first-Strategie sein alleiniger Ausgangs- und Bezugspunkt. Damit beschreibt er die traditionelle Arbeit, den klassischen Workflow in Buchverlagen. Stichwörter wie „digitale Transformation“, „Content-first-Strategie“ oder „Redaktionssystem“, die längst die Arbeit von und Abläufe in vielen, wenn auch noch nicht allen Verlagen bestimmen, sucht man vergebens. Ein Detail nur, aber bezeichnend: In den Manuskripthinweisen schreibt Schickerling: „Jede Manuskriptseite sollte 30 Zeilen à 60 Anschläge enthalten“ (S. 92). Eine Definition der Normseite, die aus Zeiten von Schreibmaschinen mit einer Nichtproportionalschrift stammt. Das ist wohl kaum zeitgemäß. Auch die Disruption in der Verlagsbranche durch neue Player und Selfpublisher bleibt außen vor.
Weniger noch als auf die Gegenwart geht Schickerling auf die Zukunft ein. Dabei werden Disruption und Transformation die Verlagsbranche und alle beteiligten Angestellten und Freischaffenden auch künftig stark und noch stärker bewegen. „Künstliche Intelligenz“, „Big Data Science“ und „Deep Learning“ werden das Lektorat erheblich verändern. Längst gibt es Programme zur Analyse von Manuskripten, Transkription von Gesprochenem und Übersetzung von Texten, ja sogar zur automatischen Generierung von Texten. Computergenerierte Börsen-, Sport- und Wetterberichte sind bereits Standard, und 2019 wurde das erste von einer Maschine erzeugte Fachbuch über Lithium-Ionen-Batterien veröffentlicht. Auch an lyrischen und epischen Texten versuchen sich lernfähige KIs mittlerweile. Mögen letztere derzeit noch eher Anlass zum Staunen oder zur Heiterkeit als zur Besorgnis geben, zeigen sie doch, wohin die Reise (auch) geht. Doch davon findet sich kein Wort in Schickerlings Buch. Aber wäre das nicht angezeigt in einer Reihe, die Studierende sowie Praktikerinnen und Praktiker fit machen will – und zwar auch für die Gegenwart und die Zukunft?!
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