Im Spannungsfeld zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit

Die Leserschaft, an die sich der Band Im Bergwerk der Sprache. Eine Geschichte des Deutschen in Episoden laut Klappentext wendet, ist vielleicht etwas weit gefasst. Angesprochen werden all diejenigen Lesenden und Hörenden, die über die gelesene oder gehörte Sprache reflektieren, sowie diejenigen, die sich in privatem oder professionellem Kontext mündlich oder schriftlich sprachlich äußern wollen. Letzteres schließt wohl alle Menschen ein.

Gleichwohl handelt es sich bei den 16 in diesem Buch versammelten Beiträgen um für die Publikation überarbeitete wissenschaftliche Vorträge von Sprach- und Literaturwissenschaftlern für ein fachlich vorgebildetes Publikum. Insbesondere Literaturübersetzer werden hier angesprochen, da ihre Aufgabe, Texte verschiedenster Gattungen aus verschiedenen Epochen angemessen „nachzuschaffen“, tief gehendes Sprach- und Kontextwissen voraussetzt, Lektoren reihen sich hier ein. So regten denn auch in der übersetzerischen Praxis wiederkehrende Fragen die beiden Übersetzerinnen Gabriele Leupold und Eveline Passet an, die Veranstaltungsreihe zu ausgewählten Aspekten der deutschen Sprachgeschichte im Literarischen Colloquium Berlin zu veranstalten, aus der die hier präsentierten Vorträge hervorgingen.

Das alle Beiträge verbindende, äußerst interessante Grundthema ist die Spannung zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Wie verändern sich beispielsweise Interpunktion und Satzbau beim Übergang von für den Vortrag konzipierter Literatur zu solcher, die für die stille Leserezeption verfasst wurde? Welche lexikalischen und grammatischen Mittel stehen zur Verfügung, um Mündlichkeit im schriftlichen Text nachzustellen? Welchen Spielraum räumt die Grammatik dem Satzbau ein, um besonders wichtige Gedanken hervorzuheben? Betrachtet werden die mit der Normierung der Sprache einhergehenden Gegensätze von richtig und falsch, von Standard und Slang, von Dialekt und Hochdeutsch – dies nur eine Auswahl. Neben überblicksartigen Beiträgen, die leichtfüßig und frisch daherkommen, stehen „punktuelle Tiefenbohrungen“, die mit gebotener Konzentration gelesen werden wollen; einige Beiträge erfordern stellenweises Zurücklesen, um die Textbeispiele und die folgenden Erläuterungen abzugleichen.

Die Vorträge bilden einen spannenden Querschnitt sprach- und literaturwissenschaftlicher Themen. Immer wieder wird deutlich, wie eng sprach- und stilgeschichtliche Entwicklungen mit technischem Fortschritt und gesellschaftlichem und politischem Wandel verflochten sind. Interessant ist auch das Spannungsfeld der Abweichung von einer gesetzten Sprachnorm als bewusst eingesetztes literarisches Stilmittel oder als Mittel der Abgrenzung innerhalb einer Gesellschaft.

Die Beiträge öffnen ein Fenster auf ein Thema, für die weitergehende Beschäftigung findet der Leser am Ende eines jeden Beitrages willkommene Literaturempfehlungen, am Ende des Bandes eine „Kleine Bibliographie“, die eine Auswahl historischer Wörterbücher, Enzyklopädien, Grammatiken, Handbücher und Sprachgeschichten umfasst. Der Sammelband verzichtet leider auf einen Index, zur Orientierung dienen so nur das Inhaltsverzeichnis sowie ein ausführliches Vorwort. Auf den letzten Seiten werden die Autorinnen und Autoren mit beruflichem Werdegang und Arbeitsschwerpunkten kurz vorgestellt.

Dieses Buch lädt zum gezielten Arbeiten anhand einer konkreten Fragestellung oder zum neugierigen Stöbern ein.

Alles in allem eine interessante und lohnenswerte Lektüre für ein Fachpublikum oder Interessierte, die es auf sich nehmen wollen, sich das notwendige Vokabular während des Lesens zu erarbeiten.

Heike Herfart, Berlin

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