Richtig gendern – Spagat zwischen Sprachwissenschaft und Sprachkritik

Wie verständlich und korrekt schreiben, ohne bestimmte Personengruppen auszuschließen? Die Sprachwissenschaftlerinnen Gabriele Diewald und Anja Steinhauer wagen den Versuch. In ihrem Buch Richtig gendern stellen sie die verschiedenen Möglichkeiten dar. Leser und Leserinnen, die offen für das Thema sind und sich nicht vom Fachjargon abschrecken lassen, werden für geschlechter(un)gerechte Sprache und geschlechter(un)gerechten Sprachgebrauch sensibilisiert.

Seit Ende der 1970er-Jahre Luise Pusch und Senta Trömel-Plötz mit der feministischen Sprachkritik den Aufstand probten, sind 40 Jahre vergangen. Doch noch immer ist der Streit um Worte, die Auseinandersetzung um eine geschlechtergerechte Sprache nicht beigelegt. Ja, manchmal drängt sich der Eindruck auf, dass die Diskussion nicht nur nicht an Schärfe verloren, sondern sogar zugenommen hat.

Im Zentrum der Diskussion standen und stehen Personenbezeichnungen. Problem und Dilemma: Welche Lösung man auch immer wählen mag, stets findet sich ein linguistisches oder politisches Gegenargument, warum gerade diese Lösung unangemessen ist. Gebraucht man das generische Maskulinum, so werden Frauen nicht sichtbar. Die Doppelnennung macht den Text länger und schwieriger, beim Schrägstrich erscheinen die Frauen nur als Anhängsel, das Binnen-I lässt Männer optisch verschwinden oder blendet Transgender aus und Sternchen oder Unterstrich stehen nicht im Einklang mit der amtlichen Rechtschreibung. Eigentlich kann man es nur falsch machen.

Wie man es richtig macht, hat nun der Dudenverlag herausgefunden: Richtig gendern ist ein neuer Ratgeber, geschrieben von Gabriele Diewald und Anja Steinhauer. Gabriele Diewald ist Professorin für Germanistische Linguistik an der Leibniz Universität Hannover und forscht unter anderem zur geschlechtergerechten Sprache in Theorie und Praxis. Die promovierte Sprachwissenschaftlerin Anja Steinhauer ist freie Lektorin und hat schon etliche Werke für den Dudenverlag verfasst. Die Autorinnen wollen uns erklären, wie man beim Gendern angemessen und verständlich schreibt.

Dazu holen Diewald und Steinhauer weit aus: In der Einleitung beziehen sie sich auf die im Grundgesetz verbriefte Gleichberechtigung von Frauen und Männern sowie die in Gesetzen und Verordnungen geforderte sprachliche Gleichstellung in der Rechts- und Verwaltungssprache und legitimieren so das Gendern.

Im zweiten Kapitel Sprachliche Grundlagen greifen die Autorinnen die Unterscheidung in grammatisches, semantisches, soziales und biologisches Geschlecht auf, um die Schwierigkeiten bei den Personenbezeichnungen aufzuzeigen. Damit wird eine differenziertere Betrachtung von Zweifelsfällen möglich als bei der üblichen Gegenüberstellung von Genus und Sexus. Kurz gehen Diewald und Steinhauer auch auf Pronomina ein; die geschlechtsindifferenten Pronomina man, jemand oder wer sehen sie in vielen Fällen als eine kurze und elegante Lösung für Gendergerechtigkeit an. Das generische Maskulinum hingegen ist für sie keine geschlechtsneutrale Form. Ihr Verdikt: „Vermeiden Sie das ‚generische Maskulinum‘, wenn Sie klar, eindeutig und gendergerecht kommunizieren wollen!“ Man mag diese Bewertung teilen oder nicht, unstrittig sollte sein: Es ist verdienstvoll, nicht nur Sprachkritik an der Oberfläche zu üben, sondern auch die zugrunde liegenden Reflexionen und Positionen explizit zu machen und so das Sprachbewusstsein zu schärfen. Ein Wermutstropfen: So wichtig diese Ausführungen für das Verständnis des Ansatzes sind, so schwer verständlich dürften sie angesichts des Fachjargons für viele Leserinnen und Leser sein. Eine verständliche Schreibe ist nicht nur beim Gendern angezeigt, sondern auch bei einem Ratgeber zum Gendern.

In den nächsten beiden Kapiteln erörtern die Autorinnen Gendern auf der Wortebene sowie der Satz- und Textebene. Auf Wortebene gehen sie auf die ausführliche Doppelnennung, die Sparschreibung bei der Doppelnennung (Schrägstrich, Binnen-I, Sternchen, Unterstrich, Klammern) sowie Ersatzformen und Umformulierungen (z. B. Substantivierung von Partizipien, geschlechtsneutrale Ausdrücke, Passiv- und Relativsätze) ein und zeigen ganz konkrete Schwierigkeiten und Lösungen auf. Weiterhin thematisieren sie Ableitungen und Zusammensetzungen wie Bürgersteig oder Anfängerkurs und schlagen das Kriterium des Sach- bzw. Personenbezugs vor: Je stärker der Fokus auf der Person und nicht auf der Sache liege, umso eher solle gegendert werden. Sachbezogene Formen wie Bürgerinnensteig seien nicht sinnvoll.

Folgt man dieser Argumentation, muss der Dudenverlag seine Ratgeber also nicht in „Ratgeberinnen“ umbenennen. Aber er hat eine andere Baustelle, auf der sich anscheinend nichts tut: In seinem Shop verwendet der Dudenverlag das generische Maskulinum und apostrophiert die Autorinnen als „Autoren“, was ihm spöttische Kommentare auf Twitter eingetragen hat.

Das nächste Kapitel ist der oft vernachlässigten Satz- und Textebene gewidmet. Hier führen Diewald und Steinhauer das Kriterium der Genderrelevanz ein, die als eine dreistufige Skala mit den Polen „höchste Genderrelevanz“ und „mäßige Genderrelevanz“ konzipiert ist. Vier sprachliche Faktoren – Referenztyp, syntaktische Funktion, textuelle Funktion und Wortstatus – und ihre Formen werden dazu in Beziehung gesetzt und eingestuft. Für Laien ist der Fachjargon erneut keine leichte Kost, was schade ist, denn dahinter verbergen sich alltägliche Fragen und Probleme geschlechtergerechten Schreibens (z. B. Anna und Ben sind ?Arzt / Ärzte / Ärztin und Arzt). Und zu diesen geben die Verfasserinnen nachvollziehbare Erläuterungen und Empfehlungen. In manchen Fällen halten sie das Gendern auch für nicht angebracht (etwa bei metaphorisch gebrauchten Komposita wie Gesetzgeber). Beschlossen wird das Kapitel mit Problemen der Kongruenz in Satz und Text (das Mädchen, das/die ...).

Das vorletzte Kapitel enthält 15 Beispielanalysen und hebt auf unterschiedliche Textsorten vom Merkblatt bis zum Werbetext ab. Das erlaubt dem Leser bzw. der Leserin, das eigene sprachliche Bewusstsein weiter zu schärfen, aber auch, die Beispieltexte zu optimieren und die Änderungen mit den Vorschlägen der Autorinnen abzugleichen. Ein Beispiel, das nicht nur unzureichendes, sondern auch ein überzogenes Gendern zeigt, wäre allerdings wünschenswert gewesen.

Das Buch beschließt ein historischer Abriss der Kontroverse um die feministische Sprachkritik. Dass die Geschichte längst nicht zu Ende geschrieben ist, zeigt das jüngst ergangene Urteil des Bundesgerichtshofs zu Personenbezeichnungen. Eine Kundin hatte von ihrer Sparkasse vergeblich gefordert, auf den Formularen auch die weibliche Form zu verwenden, und geklagt. Wie die Vorinstanzen hat der BGH die Klage zurückgewiesen. Er sieht durch die Verwendung generisch maskuliner Personenbezeichnungen keine Benachteiligung und keine Verletzung des Persönlichkeitsrechts. Fortsetzung vor dem Bundesverfassungsgericht nicht ausgeschlossen. Apropos BVerfG: Man darf gespannt sein, ob und wie sich dessen Urteil zum dritten Geschlecht auf künftige Auflagen des Ratgebers auswirken wird, der von der Zweigeschlechtlichkeit als kommunikativer Standardsituation ausgeht und sich bei seinen Ausführungen auf den binären Prototyp beschränkt.

Bis dahin muss – und kann – man mit dieser Ausgabe leben. Nicht nur, dass (fast) alle Fragen rund ums Gendern erörtert werden, sondern auch, dass die Antworten fachlich begründet werden. Die Leser und Leserinnen werden für geschlechter(un)gerechte Sprache und geschlechter(un)gerechten Sprachgebrauch sensibilisiert. Ihnen werden Problemlösungen nahegelegt, jedoch nicht im Sinne einer rigiden Sprachlenkung oktroyiert. Vielmehr appellieren die Autorinnen immer wieder an die Findigkeit und Verantwortung des Lesers, der Leserin. Bei etlichen Details kann und darf man denn auch anderer Meinung sein, zumindest ein Fragezeichen machen.

Dem Duden-Ratgeber gelingt weitgehend der Spagat zwischen deskriptiver Sprachwissenschaft und normativer Sprachkritik. Mit seiner differenzierten Position kann er zur Versachlichung der Debatte beitragen, wenngleich für viele Kritiker das Werk wohl eher Öl ins Feuer gießt. An manchen Stellen geben die Autorinnen unnötige Steilvorlagen für Kritik, etwa wenn sie viel konzilianter mit dem generischen Femininum umgehen als mit dem generischen Maskulinum. Da stellt sich dann schon die Frage: Geht es um geschlechtergerechte oder frauengerechte Sprache? Fazit: Vieles richtig gemacht, wenn auch nicht alles.

Als Buch und E-Book erhältlich, online zum Beispiel im Autorenwelt-Shop und bei buch7.de.

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