Wider die Dominanz von Maschinenmetaphern

Die Autorin und Übersetzerin Claudia Hamm hat sechzehn Stimmen von Autorinnen und Autoren zusammengestellt, die sich mit dem Thema KI und Sprache beschäftigen. Automatensprache heißt der Band, der sich mit ethischen, kulturellen und gesellschaftlichen Fragen rund um den inzwischen nicht mehr ganz neuen Hype KI beschäftigt.

Der Band enthält unter anderem Beiträge von der Herausgeberin Claudia Hamm, der amerikanischen Autorin und Journalistin Elizabeth Weil, dem Ordinarius für Theologische Ethik und Leiter des Instituts für Sozialethik ISE an der Universität Luzern Peter Kirchschläger, vom Gründer und CEO der Techworker Community Africa Mophat Okinyi und der Schriftstellerin und Beauftragten des European Writers’ Council (EWC) für internationale Angelegenheiten zu Urheberrecht, Digitalwirtschaft und Meinungsfreiheit Nina George.

Was bedeutet es, wenn Sprache nicht mehr der Ausdruck von Erfahrung ist und nicht mehr mit dem Wunsch nach Verständigung von Mensch zu Mensch eingesetzt wird, sondern von einem Algorithmus ausgespuckt wird, der – häufig gefüttert mit geklauten Texten – darauf programmiert ist, Wahrscheinlichkeiten zu berechnen, für die niemand Verantwortung übernimmt? Was bedeutet es für unsere Gesellschaft, die Demokratie und unsere Menschlichkeit?

Es lohnt sich, den Blick auf KI mit den Fragen und Ansichten dieser Autor*innen zu schärfen und sich nicht blindlings der Begeisterung über die Technik hinzugeben, die lauthals viel verspricht: vor allem Effizienzgewinne, ökonomische und politische Transformation. Schöpfung und Menschlichkeit kommen in den Versprechen eher nicht vor – Claudia Hamm nimmt dies in ihrem einleitenden Text „Das Blaue vom grünen Himmel“ sehr gut unter die Lupe.

Die Texte, die in diesem Band versammelt sind, hinterfragen jeweils einen anderen Aspekt der neuen Technik. Die amerikanische Autorin und Journalistin Elizabeth Weil weist auf die Ungerechtigkeit hin, die darin liegt, dass die großen Sprachmodelle vor allem mit englischen Texten „gefüttert“ werden und damit kleinere Sprachen von vornherein außen vor lässt. Das soll dann diese neue, gerechte Welt sein, von der KI-Entwickler*innen schwärmen.

Bedrückend mit Blick auf Gerechtigkeit ist auch der Bericht von Mophat Okinyi, der in Kenia für ein Unternehmen tätig war, das für die KI-Entwickler*innen Datenetikettierungen vornimmt. Für 1,35 Doller pro Stunde arbeitete er als „Datenreiniger“: Er sortierte Texte mit sexuellem Inhalt in sechs Kategorien, zu denen auch sexueller Missbrauch von Kindern und weiterer illegaler sexueller Inhalt gehörte, und bewertete den Schweregrad. Sein Bericht darüber, wie diese Arbeit in sein Privatleben hineinwirkte, ist schwer erträglich und stellt Fragen zur Entstehung der hochgelobten Technik.

Wer bezahlt eigentlich für die Gewinne, die KI-Unternehmen einfahren? Eben Menschen wie Mophat Okinyi, aber auch die Urheber*innen, deren Werke seit Jahren illegal kopiert werden und in die großen Sprachmodelle einfließen. Dazu schreibt die Schriftstellerin Nina George, die sich seit Jahren mit dem European Writers’ Council und dem Netzwerk Autorenrechte für die Rechte von Urhebenden einsetzt, über „zusammengeklaute Textkotze“ und politisch Verantwortliche, die dafür bereit sind, die Rechte von Urhebenden so zu beugen, bis sie „den Herstellern von Automaten dienen, die dann die Wortarbeiter ersetzen wollen. Ein bisschen so, als ob man dem Pausenhof-Bully ein Fleißbienchen ins Klassenbuch stempelt und seinen Opfern rät, entweder lieb mitzumachen oder sterben zu gehen.“

Sehr berührend finde ich persönlich das Gespräch vom Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen Bernhard Pörksen mit Joseph Weizenbaum. Der Informatiker, Jahrgang 1923, floh 1936 aus Deutschland in die USA und studierte Mathematik. Er entwickelte 1966 das Computerprogramm ELIZA, das damals als Meilenstein der KI gefeiert wurde, weil es für Nutzer*innen glaubhaft einen Psychotherapeuten simulierte. Darüber entsetzt wurde Weizenbaum zu einem Kritiker von KI. In dem Gespräch aus dem Jahr 2008 sagt er: „Ein humanes Menschenbild muss heute, davon bin ich zutiefst überzeugt, gegen die Dominanz von Maschinenmetaphern verteidigt werden.“

Dieses Buch ist genau das: die Verteidigung des humanen Menschenbilds. Wir haben viel zu verlieren. Und auch, wenn diese Stimmen leiser sind als die derjenigen, die die schöne neue Welt der KI anpreisen, sind sie da. Das zeigt sich auch im letzten Teil des Buches an fünf Manifesten von Übersetzer- und Autorenverbänden, die sich für den Schutz der Urhebenden und von menschengemachten Werken aussprechen.

Alles in allem ist Automatensprache ein lesenswertes Buch für Leser*innen, die kritisch auf die Heilsversprechen der KI-Industrie schauen. Es ist ein Plädoyer für die menschliche Kreativität.

Online erhältlich zum Beispiel im Webshop des Verlags

Dorrit Bartels Website und Profil im Lektoratsverzeichnis

Cover Automatensprache