Lehrreiche und vergnügliche Fehlersuche
Was braucht es fürs Korrekturlesen? Ganz klar: ein umfassendes Wissen rund um Rechtschreibung, Zeichensetzung und Typografie. Plus einen Blick, der die Fehler auch tatsächlich erkennt. Wie kann dieser Blick geschult werden? Ganz klar: mit Übung. Seminarleiter und Autor Johannes Sailler hat nun gleich vier weitere Bücher herausgegeben, mit denen sich freie Lektor*innen auf die vergnügliche und lehrreiche Fehlersuche begeben können.
Vier kleine Bände liegen vor mir. Auf jedem steht „Korrekturlesen – Übungen“ und darunter das jeweilige Schwerpunktthema: von Zeichensetzung über Grammatik und Rechtschreibung bis hin zur inhaltlichen Schlüssigkeit. Es gibt also jede Menge Übungen und jede Menge Möglichkeiten, Fehler zu finden – oder auch zu übersehen.
Johannes Sailler ist Germanist, Historiker und Buchhändler. Zwanzig Jahre lang leitete er im Verlag Bibliographisches Institut das Korrektorat. Für Brockhaus, Duden und Meyers übernahm er das Korrekturlesen unter anderem von Lexika, Wörterbüchern, Sachbüchern und Werbetexten. Seit 2014 bildet er in Korrekturschulungen angehende Korrektoren und Korrektorinnen weiter, unter anderem bietet er das beliebte und oft sehr schnell ausgebuchte VFLL-Seminar „Korrekturlesen“ an. Johannes Sailler hat das »Handbuch Korrekturlesen« verfasst – ein Nachschlagewerk für alle, die professionell Korrektur lesen. Wenn nicht von ihm, von wem kann man/frau etwas über das weite Feld des Korrektorats lernen?
Nahezu alle Fehler entstammen veröffentlichten Texten (Bücher, Zeitungen, Zeitschriften, Websites), sie wurden allerdings in eine andere Textumgebung eingebettet. Somit ist sichergestellt, dass wir Übenden keine ausgedachten oder konstruierten Fehler kredenzt bekommen.
Ich habe alle vier Bändchen durchgelesen, die meisten Texte bearbeitet und immer wieder gestaunt, dass auch so gravierende Fehler stehen geblieben waren. Denn manche sind so offensichtlich, dass ich dachte: „Das sieht doch ein Blinder mit Krückstock“. Andere Fehler habe ich allerdings schlicht und ergreifend überlesen. Darin liegt meiner Meinung nach der Reiz dieser Bändchen: Ich kann mich als Lektorin/Korrektorin überprüfen. Denn ist das nicht oft das Dilemma, in dem wir stecken? Dass wir nicht wissen, ob wir erfolgreich alle Fehler aufgespürt haben?
Die Texte sind meist eine Seite lang. Auf der folgenden Seite, der linken, ist dann die Auflösung zu finden. Wer mag, kann auf der Lösungsseite unten nach der Bearbeitung einen Eintrag zur Fehleranzahl vornehmen:
Fehler – gefunden: …… übersehen: …… selbst verursacht: ……
Und sich am Ende die Bilanz anschauen.
Die Lösungen werden meist ausführlich und gut begründet, es gibt praktikable Tipps zur Technik des Korrekturlesens und Informationen zur Typografie, die sonst nicht so einfach zu finden sind.
Damit keine Verzweiflung aufkommt, wenn sich mal wieder kein Fehler gefunden hat und man bei den Lösungen denkt: „Oh weh, das hätte ich doch merken sollen/müssen …“, findet sich auf vielen Lösungsseiten nach den Erläuterungen auch etwas zum Schmunzeln. Ein paar Beispiele:
„Ein Alkoholtext ergab immerhin einen Wert von 2,28 Promille“. (Tageszeitung, 9/2013)
„Es wird doch seit Jahren nichts umgesetzt, und wir wollen einfach nicht mehr hingehalten werden“, äußerte eine Teilnehmerin, die, wie alle anderen Anwohner auch, konkrete Fragen auf konkrete Antworten erwartete. (Tageszeitung, 5/2014)
„Sie trank die Hälfte ihres Pernods auf einen Zug aus und sah dabei so heiter aus wie die rundlichen Mütter, die alte italienische Meister einst auf die Leinwand bannten.“
(Missverständliches in der Übersetzung eines Romans, die Frage ist: Wer malte hier wen?)
Es war lustig zu beobachten, wie mir beim Lesen der Texte der „Ehrgeizmuskel“ ansprang und ich auf jeden Fall alle Fehler finden wollte – um dann hin und wieder erstaunt und etwas frustriert zu bemerken, dass ich eben nicht alle gefunden habe. So lernte ich nicht nur einiges hinzu, sondern schulte mich darin, bisher Übersehenes wahrzunehmen. Am spannendsten und gleichzeitig herausforderndsten empfand ich den Band zur inhaltlichen Schlüssigkeit. Bei den Übungen merkte ich oft, dass etwas nicht ganz stimmt – allerdings fehlte mir die Erklärung dazu. Doch Johannes Sailler öffnete mir dankeswerterweise die Augen.
Die Bändchen sind nicht nur sehr lehrreich, sondern auch sehr praktisch, da sie schmal, klein und handlich sind und in jede Handtasche passen. Ideal also für unterwegs, für längere S-, U- oder Bahnfahrten.
Fazit: Unbedingte Empfehlung für Lektor*innen sowie für alle, die Lust haben, diesen Beruf zu ergreifen, und überhaupt für alle an Sprache interessierten Menschen!
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Sibylle Schütz’ Website und Profil im Lektoratsverzeichnis